Expert*innen Interviews
Beratung zum Thema Polyamorie
Ich weiß noch nicht genau, ob ich polyamor leben möchte. Wie könnte mir eine Beratung bei dir helfen?
Die Frage, ob man polyamor leben möchte oder nicht, ist sehr individuell und komplex. In meinen Beratungen erlebe ich es immer wieder, dass sie bei fast allen Menschen, die sich damit auseinandersetzen, eine Vielzahl von bejahenden, ablehnenden und besorgten Gefühlen auslösen.
Ich unterstütze dich diesen Gefühlen und den damit verbundenen Themen auf den Grund zu kommen. Dadurch wird dir klarer, was dir Bauchschmerzen bereitet und wo du Klärungsbedarf hast. Du kannst so ergründen, was du benötigst um dich mit dieser Beziehungsform sicher(er) zu fühlen.
Zudem kannst du durch die Beratung klare Grenzen ermitteln, die für dich unbedingt einzuhalten wären. Um all das für dich zu klären, schaust du dir in der Beratung alte Glaubenssätze an, die vielleicht verabschiedet werden könnten. Gleichzeitig erkennst du Bedürfnisse, die zu deiner Persönlichkeit gehören an und kannst dich so, Schritt für Schritt (ggf. gemeinsam mit deiner Partnerin/deinem Partner) einer Klärung nähern.
“Mein Partner möchte mir seine neue Freundin vorstellen. Wie gehe ich mit der Situation am besten um?”
In diesem Fall sind du und dein Partner wahrscheinlich schon eine Zeitlang über diesen neuen Menschen im Gespräch und ihr lebt polyamor. Mach dir bewusst, dass es eine gemeinsame Entscheidung war, diese Beziehungsform zu wählen.
Bitte verurteile dich nicht, wenn sich Gefühle wie Eifersucht und Sorge einschleichen, du dich vergleichst und Unsicherheit spürst. All dies sind normale Gefühle, die auch in Polypartnerschaften sein dürfen. Sollte das also bei dir der Fall sein, besprechen wir dies gemeinsam in der Beratung, so dass du deinen Partner vor dem Kennenlernen in deine Gefühlswelt einbeziehen kannst. Dadurch schaffen ihr gemeinsam für euch Sicherheit und eine gute Verbindung im Vorfeld.
Wir ergründen, was du brauchst, um das Kennenlernen für alle Beteiligten so angenehm wie möglich zu gestalten. Überlege dir zum Beispiel, wo du dich räumlich sicher fühlst und das erste Treffen stattfinden sollte.
Nicht zuletzt kann die Erkenntnis, dass wir alle menschliche Gefühle haben, (du genauso wie die neue Freundin) Mitgefühl für dich und die andere Person erzeugen und somit hilfreich sein, um zugewandt, interessiert und wohlwollend auf diesen neuen Menschen zugehen zu können.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer offenen Beziehung und einer polyamorösen Beziehung?
Ich nehme in meinen Beratungen zunehmend wahr, dass das Interesse an unterschiedlichen Beziehungsformen steigt. Gleichzeitig aber auch Unsicherheit allein bei der Bezeichnung der Beziehungsform herrscht. Deshalb an dieser Stelle eine kurze, sehr zusammengefasste Unterscheidung der zwei Begriffe polyamoröse Beziehung und offene Beziehung.
Während in einer monogamen Beziehung nur zwei Personen eine tiefe, intime und emotionale Beziehung zueinander haben, ist es in einer polyamorösen Beziehung so, dass es mehrere Liebesbeziehungen zu unterschiedlichen Menschen geben darf. Dies wird offen mit den beteiligten Personen kommuniziert. Verbundenheit, Intimität und gegenseitigen Verantwortung werden miteinander gelebt. Die Zuneigung und Liebe zu einer*m Partner*in schließt diese zu weiteren Menschen nicht aus. Um diese Beziehungsform leben zu können, bedarf es einer sehr guten und ehrlichen Kommunikation und klarer Regeln unter den Beteiligten. Vorab ist es wichtig, sich mit seinen eigenen Bedürfnissen, Bindungsthemen und -erfahrungen reflektiert auseinandergesetzt zu haben. (Meine Buchempfehlung: polysecure von Jessica Fern)
In einer offenen Beziehung hingegen führen zwei Menschen eine romantische/emotionale Beziehung miteinander. Die Partner haben sich aber geeinigt, dass es für beide möglich ist, Sexualpartner*innen auch außerhalb dieser Beziehung haben zu können. Es besteht keine romantische Verbindung zu den Sexualpartner*innen.
In beiden Beziehungsformen wird der Begriff der Treue nicht an sexuelle Exklusivität gekoppelt, sondern an Verantwortung und Loyalität für den*die Partner*in.